Tiger Unter Der Stadt by Kilian Leypold

Tiger Unter Der Stadt by Kilian Leypold

Autor:Kilian Leypold [Leypold, Kilian]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 3841200451
Herausgeber: Aufbau Verlag
veröffentlicht: 2009-12-31T23:00:00+00:00


Jonas hob die Plastikplane zur Seite und lief in das grüne Dämmerlicht. Fast wäre er gegen Tante Tigers Schnauze gerannt, so benommen war er von dem Kampf.

Tante Tiger saß auf den Hinterpfoten in dem kleinen Bretterverschlag. Nach Katzenart sah sie Jonas unverwandt und regungslos an. Jonas sank vor ihr auf den Boden und keuchte. »Danke.« Mehr brachte er nicht heraus.

»Wer war das wütende Weibsbild?«, fragte Tante Tiger.

»Meine Halbschwester.«

Noch immer waren Jonas’ Hände gefühllos von Veras letztem Hieb. Er zitterte am ganzen Körper. Tante Tiger ließ sich jetzt auch auf die Vorderpfoten nieder und legte ihre riesigen Tatzen links und rechts neben Jonas, der seinen Kopf in das weiße Brustfell des Tigers presste. Wie ein Nest legten sich die weichen Haare und der Geruch nach kräftiger Suppe um ihn. Er spürte, wie ihm Tränen in die Augen stiegen. Der Tiger schnurrte und allmählich beruhigte sich Jonas.

»Sie war fast schon friedlich in der letzten Zeit«, sagte er. »Und auf einmal schleicht sie mir nach und schlägt mich fast tot. Die spinnt doch …«

Er wischte sich die Augen mit einem Zipfel des rosa Schals, der noch immer um den Tigerhals geschlungen war.

»Nein«, brummte Tante Tiger, »sie ist verliebt.«

»Was?«, rief Jonas. »Verliebt? Mit diesen scheußlichen grünen Lippen kriegt die doch nie einen.«

»Ach, Bub, es gibt immer welche, die so was mögen.«

»Trotzdem. Niemand hält es mit Vera aus. Sie ist brutal.«

»Von wegen«, grummelte der Tiger über Jonas. »Wie ein Täubchen hat sie gegurrt. Deswegen hab ich mich eben auch so lange zurückgehalten. Weil ich nicht glauben wollte, dass dieses verliebte Ding so toben kann. Aber sie war es, ich hab sie an der Stimme erkannt.«

»Sie kennen Vera?« Jonas war vollkommen verdattert.

»Neulich hat sie mit ihrem Verehrer im Mondschein auf dem Baumstamm gesessen«, sagte Tante Tiger. »Ich hab es euch doch erzählt.«

Jonas erinnerte sich. Nur das Schnurren des Tigers hatte das Mädchen schon erschreckt. Und jetzt hatte Vera das Knurren und Brüllen zu hören bekommen. Die Angst hatte sie kurzzeitig gelähmt, fast so wie ein K.-o.-Schlag. Geschah ihr recht, fand Jonas, merkte sie mal, wie das war: Angst haben.

»Wer ist eigentlich ihr Freund? Kennen Sie den auch?«

»Woher denn? Ich bin doch keine Klatschtante. Deine Schwester habe ich an der Stimme und am Geruch erkannt. Und mit dem jungen Mann ist es das Gleiche. Ich weiß nicht, wer er ist, aber ich würde ihn sofort wiedererkennen. Er rollte das R ganz wunderbar und roch sehrrr verrrrführerrrrisch, rrroooaaaah, nach Schweineblut.«

In Jonas stieg ein Verdacht auf. »Hat er ein rundes, rosiges Gesicht und ganz kleine Augen?«

»Nun ja«, zierte sich Tante Tiger, »ich war ja ein Stück entfernt und es war Nacht … Aber ich glaube, du hast recht: es war ein richtiges Vollmondgesicht.«

»Igor, der Schweinskopf!« Jonas fing an zu lachen, so laut, dass Tante Tiger etwas von ihm abrückte und ihn verwundert ansah. Jonas wusste selbst, dass es blöd war, zu lachen, aber er konnte nicht anders. Die Vorstellung, dass Igor und Vera im Mondschein auf einem Baumstamm saßen, Händchen hielten und sich sogar küssten, war furchtbar komisch.

Nachdem er sich wieder gefangen hatte, erklärte Jonas Tante Tiger, wer Igor war.



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